Der Leaf ist so etwas wie der Winkelried der Elektroautos. Es ist das erste Grossserien-Elektroauto, das von Grund auf als solches konzipiert wurde und sich Ende 2010 wagemutig in den Kampf gegen die Übermacht der Verbrenner warf.
Mit etwa 200'000 Exemplaren ist der Leaf das weltweit meistverkaufte Elektroauto. Trotzdem sieht man ihn auf den Schweizer Strassen eher selten. Im 2016 wurden gerade mal 158 Stück neu zugelassen. Die vergleichbare Renault Zoe wurde im gleichen Zeitraum mit über 400 Exemplaren deutlich stärker nachgefragt. Das wesentlich teurere Tesla Model S verkaufte sich 2016 sogar 1300 Mal.
Ähnlich gross wie der Nissan Leaf ist der Hyundai Ioniq Electric. Er ist zwar teurer, bietet aber eine üppigere und modernere Ausstattung und eine bessere Reichweite. Ab CHF 36'990. Wenn's ein günstigeres Auto als der Ioniq sein sollte, kommt allenfalls die Renault Zoe ZE 40 in Frage. Sie ist zwar kleiner als der Leaf, bietet aber ein ausgewogenes Gesamtpaket mit guter Reichweite ab CHF 26'300.
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Woher kommt also diese Diskrepanz? Gibt es konkrete Gründe, wieso der Leaf in der Schweiz nicht so populär ist? ElektroautoCoach wollte es genauer wissen und ist dieser Frage im Rahmen einer Testfahrt nachgegangen.
Seit dem Herbst 2015 gibt's den Leaf mit zwei Batteriegrössen, den ursprünglichen 24 kWh sowie neu mit 30 kWh. Letztere erhöht die NEFZ-Reichweite um 50 km auf neu 250 km.
Als Testfahrzeug diente uns ein 2016 Nissan Leaf 30 kWh in der höchsten Ausstattungsvariante Tekna.
Beim ersten Kontakt mit dem Leaf fallen uns als erstes die riesigen Klarglasabdeckungen der Frontscheinwerfer auf. Aerodynamisch geformt thronen sie seitlich über der Motorhaube und bilden so ein wesentliches Gestaltungsmerkmal der Frontpartie.
Ist es das, was ein gelungenes Design ausmacht? Oder gar eine der Gründe für des Schweizer's Ablehnung? Wir sind uns da nicht ganz schlüssig. Aber Schönheit liegt ja bekanntlich im Auge des Betrachters.
Obwohl ein Mitglied der Kompaktklasse, ist der Leaf trotzdem kein kleines Fahrzeug. Mit einer Länge von 4.4m ist er 20 cm länger als ein Golf. Offiziell bietet das Fahrzeug Platz für 5 Personen, in der Realität dürften sich 4 Personen allerdings wesentlich wohler fühlen.
Das Platzangebot in der zweiten Reihe ist in Ordnung. Wieso es allerdings bei einem Elektroauto mit Frontmotor und -antrieb einen Mitteltunnel braucht, der einem das längere Sitzen auf dem hinteren mittleren Platz vermiest, hat sich uns nicht ganz erschlossen.
Bleiben wir noch kurz bei den Platzverhältnissen. Der Kofferraum ist mit einem Volumen von 365l standesgerecht für diese Fahrzeugsklasse, praktisch ist er aber trotzdem nur bedingt.
Das liegt zum einen am Bose-Subwoofer, der bei der von uns gefahrenen Tekna-Version fast die ganze Kofferraumbreite einnimmt, unmittelbar hinter den Hintersitzen. Zusätzlich findet man auf der rechten Seite eine Art Rucksack, in dem die Ladekabel versorgt sind.
Zum anderen sind es die Hintersitze, die einen zwiespältigen Eindruck hinterlassen. Zwar können sie im Verhältnis 60:40 umgelegt werden, was positiv ist. Aber die umgeklappte Sitzfläche ist um beinahe 30 cm höher als der eigentliche Kofferraum. Dadurch wird das Transportieren von grossen Gegenständen erschwert oder gar verunmöglicht.
Den Leaf gibt's standardmässig mit einem Keyless Schlüssel, so dass man diesen vor dem Einsteigen nicht aus der Tasche nehmen muss. Stattdessen entriegeln sich die Türen, sobald man sich dem Fahrzeug nähert und man steigt ein. Hinter dem Steuer fühlt man sich im Leaf eigentlich ganz wohl. Die Sitze sind bequem, die Kopffreiheit ausreichend und die Übersichtlichkeit, zumindest nach vorne, ist auch gegeben.
Bei der Verarbeitung im Innenraum dominiert Plastik, das sich aber wertig anfühlt. Die Ledersitze und das Armaturenbrett sind in unserem Testfahrzeug schwarz gewählt.
Die beiden Displays auf der Fahrerseite sind wie folgt aufgeteilt: im Hauptdisplay hinter dem Lenkrad sieht man die Ladestand, Reichweite, Kilometerzähler, Ganganzeige, Batterietemperatur usw. Zudem zeigt der Wagen ab, wie stark man beschleunigt bzw. rekuperiert.
Ein kleines, darüber liegendes separates Display informiert über die Geschwindigkeit, Zeit und Aussentemperatur. Und bei besonders ökologischer Fahrweise wächst dort auch ein Bäumchen. Auch da wieder, ein wenig japanisch und spielerisch anmutend.
Das dritte Display schlussendlich ist in der Mitte des Armaturenbretts angeordnet und beinhaltet Navi, Radio, Anzeige der Rückfahrkamera, und vieles mehr.
Zum Starten wird das Bremspedal zusammen mit dem Startknopf gedrückt und das Fahrzeug erwacht zum Leben. Die insgesamt drei Displays leuchten auf und dazu gibt's noch ein undefinierbares elektronisches Musikgeklimper. Ein wenig japanisch, aber nicht weiter störend.
Nach dem Start des Autos bringt man den Gangstummel in der Mittelkonsole vom P entweder ins D oder B. Die Stufe D entspricht dem Verhalten einer normalen Automatik, wie man's von einem herkömmlichen Verbrenner kennt. Im Gegensatz dazu vermindert der Wagen in der Stufe B beim Loslassen des Gaspedals die Geschwindigkeit merklich und die so gewonnene Energie fliesst wieder zurück in die Batterie. Diese Rekuperation schont die mechanischen Bremsen und steigert die Reichweite, in dem beim Abbremsen oder beim Bergabfahren ein Teil der Energie wieder zurückgewonnen wird.
Für unseren Geschmack dürfte die Rekuperation in der Stufe B durchaus noch stärker ausfallen. So hingegen bleibt einem der häufigere Wechsel vom Gas- aufs Bremspedal nicht ganz erspart. Dabei ist gerade das 1-Pedal-Driving eine der angenehmsten Eigenschaften eines Elektroautos, eine genügend starke Rekuperation natürlich vorausgesetzt.
Ansonsten fährt sich der Leaf so, wie man es von einem Familienauto erwartet: Die Lenkung ist eher komfortabel und leichtgängig statt sportlich und direkt, aber das ist ok so, schliesslich will der Leaf auch kein Rennauto sein. Er federt die meisten Unebenheiten souverän ab und die Beschleunigung ist auch ganz in Ordnung, das Elektroauto benötigt 11.5 Sekunden für den Sprint auf 100 km/h. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 144 km/h, was für (Schweizer) Autobahnverhältnisse mehr als ausreichend ist. Der allgemeine Fahreindruck ist ganz gefällig und unaufgeregt.
Beim Manövrieren stört die eingeschränkte Sicht nach hinten ein wenig. Aus diesem Grund besitzt der Leaf ab der Ausstattungsvariante Acenta eine Rückfahrkamera, welche bei der Ausstattungsvariante Tekna um eine 360° Rundumsicht ergänzt wird. Das 360° Feature wäre aus unserer Sicht nicht unbedingt nötig, aber die Rückfahrkamera könnte einen grösseren Bildschirm und bessere Auflösung vertragen. Dies gilt nicht nur für die Rückfahrkamera, sondern auch für alle anderen Funktionen auf dem zentralen Display wie beispielsweise die Kartendarstellung.
Die NEFZ-Reichweite des Leaf beträgt 250 km. Die echte Reichweite im Alltag beträgt ungefähr zwischen 170-180 km. Dies bei einer vorwiegenden Verwendung in der Stadt oder Überland. Auf der Autobahn mit Geschwindigkeiten von 120 km/h steigt der Verbrauch jedoch drastisch an, so dass die Reichweite auf etwa 110-120 km schrumpft.
Wenn das Auto nach einer frostigen Winternacht draussen gestanden hat, kann sich die Autobahnreichweite auf gegen 100 km reduzieren. Die Heizung des Innenraums und der Batterie fordert halt ihren Preis in Form von Reichweite. Um dieses Manko möglichst zu minimieren, besitzt der Leaf ab der Ausstattungsvariante Acenta eine Wärmepumpe, die weniger Strom verbraucht als eine reine Elektroheizung. Ebenso inbegriffen ist NissanConnect EV. Dahinter verbirgt sich u.a. eine App, mit der der Leaf vorgängig geheizt werden kann, solange er noch am Stromkabel hängt.
Apropos Stromkabel, folgende Ladeanschlussmöglichkeiten verbergen sich hinter der frontseitig angeordneten Ladeklappe des Leaf: Einen Typ 1 Ladeanschluss mit Ladekabel und angeschlossenem Haushaltsstecker. Damit dauert das Laden ab der heimischen Haushaltssteckdose etwa 16 Stunden. Nissan empfiehlt das Installieren einer Heimladestation (Wallbox). Damit kann der Leaf mit 3.6 kW in etwa 9 Stunden vollgeladen werden.
Gegen einen Aufpreis von CHF 1200 kann die Ladeleistung auf 6.6 kW erhöht werden, damit gelingt die Vollladung Zuhause innert 5 Stunden. Fürs Laden unterwegs ist der Leaf ab der Version Acenta mit einem CHAdeMO-Schnellladeanschluss ausgestattet. Damit kann das Elektroauto mit 50 kW Gleichstrom innert 30 Minuten auf 80 % geladen werden. Ohne diese Schnellladefähigkeit sind Fahrten an einem Tag über die Gesamtreichweite eines Elektroautos nicht wirklich machbar. Dies ist bei längeren Strecken von grossem Vorteil, da bei Elektroautos ohne Schnellladefähigkeit ein Aufladen unterwegs viel zu lange dauert und somit Tagesausflüge jenseits der Gesamtreichweite praktisch verunmöglicht.
In der von uns getesteten höchsten Ausstattungsvariante Tekna kostet der Leaf CHF 38'455. Entschliesst man sich zum Modell Kauf + Batteriemiete, so liegt der Kaufpreis bei CHF 31'955, die Mietkosten für die Batterie bewegt sich je nach Laufzeit und km/Jahr zwischen CHF 95 und CHF 175.
Sollten Sie sich für die kleinere Batterie mit 24 kWh und die günstigste Variante Visia interessieren, so liegen die beiden Kaufpreise (mit oder ohne Batterie) etwa CHF 9'300 unter den obenstehenden 30 kWh Tekna-Preisen, die Kosten für die Batteriemiete sind identisch). Auf die 30 kWh Batterie gibt Nissan übrigens eine Garantie von 8 Jahren bzw. 160'000 km.
Der von uns getestete Leaf in der Tekna-Version und mit der 30 kWh (Kauf-)Batterie ist mit einem Preis von rund CHF 39'000 kein Schnäppchen. Dafür erhalten Sie aber auch ein wirklich gut ausgestattetes Elektroauto mit LED Scheinwerfer, Navi, Rückfahrkamera, Sitzheizung vorne und hinten, beheizbarem Lenkrad, Regensensor, Klimaautomatik und vielem mehr.
Das Auto fährt sich ganz angenehm und mit einer realistischen Reichweite von gegen 180 km kommt der Leaf genügend weit, um den meisten Alltagsstrecken unter der Woche gerecht zu werden. Will man den Leaf als alleiniges Fahrzeug im Haushalt nutzen, gibt es dennoch Situationen, in denen eine grössere Reichweite hilfreich wäre. Da hilft es, dass der Leaf mit dem CHAdeMO Anschluss über eine Gleichstrom-Schnelllademöglichkeit verfügt, so dass ein Ladehalt unterwegs nicht in eine stundenlange Warterei ausufert.
Trotzdem hinterlässt uns der Leaf ein wenig ratlos. Inzwischen gibt's schon andere Elektroautos wie die Zoe oder den Ampera-e, die in einem ähnlichen Preissegment realistische Reichweiten von 300 km oder mehr bieten. Wir stellen uns also die Frage: Wo will sich der Leaf positionieren?
Sucht man ein Elektrofahrzeug als Zweitwagen, stellt sich sofort die (berechtigte) Frage, ob es dann wirklich ein Fahrzeug in der Grösse des Leaf sein muss. Denn im Verhältnis zu seiner Grösse sind die Belademöglichkeiten speziell bei umgeklappten Rücksitzen ziemlich eingeschränkt. Gerade in der Stadt und in der Agglomeration ist man unter Umständen mit einer Renault Zoe oder einem Elektro-Smart aufgrund der handlicheren Abmessungen besser bedient.
Ob jemand den Leaf rein wegen dem Design kauft? Möglich. Wir würden vermutlich nicht in diese Kategorie fallen. Wäre der Leaf andererseits ein Raumwunder, eventuell sogar mit einer entsprechend grossen Reichweite, wäre dies vermutlich ausreichend, um die Gruppe der Pragmatiker zum Kauf zu bewegen. Design hin oder her.
So aber ist der Leaf für uns weder Fisch noch Vogel und hinterlässt den Eindruck, dass Nissan die Weiterentwicklung seines Erfolgsmodells ein wenig verschlafen hat. Ob dies wohl der Grund dafür ist, dass man den Leaf auf Schweizer Strassen eher selten sieht?
Der Nachfolger des aktuellen Modells wird 2018 auf den Markt kommen. Mit einem überarbeiteten Aussehen und einer Reichweite von etwa 300 km. Es wäre wirklich begrüssenswert, wenn Nissan an den ursprünglichen Erfolg des Leaf anknüpfen könnte und ihn nicht den Tod des Winkelrieds sterben lässt.